Gedichte gegen den Winterblues
Der Winter ist die dunkelste und damit für viele auch die zermürbendste Jahreszeit. Natürlich kann Winterwetter schön sein, aber das mangelnde Tageslicht, die eisige Kälte und der Schneematsch auf den Straßen können unsere Laune ganz schnell in den Keller treiben. Der Weihnachtsstress noch unerwähnt. Stimmungsvolle Gedichte können in dieser Zeit Halt geben und den Druck rausnehmen. Lassen Sie den Kopf nicht hängen, bald wird es wieder heller.
In der Neujahrsnacht
Joachim Ringelnatz
Die Kirchturmglocke schlägt zwölfmal Bumm.
Das alte Jahr ist wieder 'mal um.
Die Menschen können sich in den Gassen
Vor lauter Übermut garnicht mehr fassen.
Sie singen und springen umher wie die Flöhe
Und werfen die Mützen in die Höhe.
Der Schornsteinfegergeselle Schwerzlich
Küßt Herrn Conditor Krause recht herzlich.
Der alte Gendarm brummt heute sogar
Ein freundliches: Prosit zum neuen Jahr.
Mein Neujahrswunsch
Karl Henckell
Was ich erwünsche vom neuen Jahre?
Daß ich die Wurzel der Kraft mir wahre,
Festzustehen im Grund der Erden,
Nicht zu lockern und morsch zu werden,
Mit den frisch ergrünenden Blättern
Wieder zu trotzen Wind und Wettern,
Mag es ächzen und mag es krachen,
Stark zu rauschen, ruhig zu lachen,
So in Regen wie Sonnenschein
Freunden ein Baum des Lebens zu sein.
Weihnachten
Hoffmann von Fallersleben
Zwar ist das Jahr an Festen reich,
Doch ist kein Fest dem Feste gleich,
Worauf wir Kinder Jahr aus Jahr ein
Stets harren in süßer Lust und Pein.
O schöne, herrliche Weihnachtszeit,
Was bringst du Lust und Fröhlichkeit!
Wenn der heilige Christ in jedem Haus
Theilt seine lieben Gaben aus.
Und ist das Häuschen noch so klein,
So kommt der heilige Christ hinein,
Und Alle sind ihm lieb wie die Seinen,
Die Armen und Reichen, die Großen und Kleinen.
Der heilige Christ an Alle denkt,
Ein Jedes wird von ihm beschenkt.
Drum laßt uns freu'n und dankbar sein!
Er denkt auch unser, mein und dein.
Weihnachtstanne
Anna Dix
Die Weihnachtstanne duftet durchs Haus!
Sie duftet so würzig − so eigen.
Erinnerungen geh'n leise aus
Von ihren prangenden Zweigen.
Und die Kerzen strahlen in Herrlichkeit
Wie zur Jugendzeit − wie zur Kinderzeit.
Weihnachten
Theodor Storm
Mir ist das Herz so froh erschrocken,
das ist die liebe Weihnachtszeit!
Ich höre fern her Kirchenglocken
mich lieblich heimatlich verlocken
in märchenstille Herrlichkeit.
Ein frommer Zauber hält mich wieder,
anbetend, staunend muß ich stehn;
es sinkt auf meine Augenlider
ein goldner Kindertraum hernieder,
ich fühl's, ein Wunder ist geschehn.
Winter
Maria Janitschek
Halt ich sacht auf weißem Felde,
Märchen sinnend, stillerlauschten,
Ist's, als ob zu meinen Häupten
Nahe Flügelschläge rauschten.
Ist es mir, als ob der Schneewind
Warme Blumendüfte brächte,
Blumenduft von tausend Beeten,
Aus der Glutpracht fremder Nächte.
Behend eil' ich in den Garten,
Wo die Bäume silbern stehn,
Um in zitterndem Erwarten
Nach den Zweigen aufzuseh'n.
Streif den Schnee von ihnen zärtlich
Der sie in sein Weiß versteckt,
Und erblick, o lieblich Wunder!
Junge Äuglein, schlafbedeckt.
Frühling! Nach des Sommers Abschied
Nahst du schon mit leisen Küssen,
Und es gibt gar keinen Winter,
Und kein kaltes Sterbenmüssen.
Streift den Schnee nur von den Dingen,
Drunter grünen neue Triebe,
Und ihr spürt des Lebens Jugend
Und die Urkraft seiner Liebe.
Advent
Clara Forrer
Schwebe hernieder,
Heilige Nacht,
Leuchte uns wieder,
Stern voller Pracht.
Greif in die Saiten,
Himmlischer Chor:
Schönste der Zeiten,
Steige empor!
In der Winternacht
Friedrich Wilhelm Weber
Es wächst viel Brot in der Winternacht,
weil unter dem Schnee frisch grünet die Saat;
erst wenn im Lenze die Sonne lacht,
spürst du, was Gutes der Winter tat.
Und deucht die Welt dir öd und leer,
und sind die Tage dir rauh und schwer:
Sei still und habe des Wandels acht -
es wächst viel Brot in der Winternacht.
Februar
Cäsar Flaischlen
Schon leuchtet die Sonne wieder am Himmel
und schmilzt die Schneelast von den Dächern
und taut das Eis auf an den Fenstern
und lacht ins Zimmer: wie geht's? wie steht's?
Und wenn es auch noch lang nicht Frühling,
so laut es überall tropft und rinnt ...
du sinnst hinaus über deine Dächer ...
du sagst, es sei ein schreckliches Wetter,
man werde ganz krank! und bist im stillen
glückselig drüber wie ein Kind.
An die Redaktion der >>Lustigen Blätter<<
Wilhelm Busch
Auch uns, in ehren sei's gesagt,
Hat einst der Karneval behagt,
Besonders und zu allermeist
In einer Stadt, die München heißt.
Wie reizend fand man dazumal
Ein menschenwarmes Festlokal,
Wie fleißig wurde über nacht
Das Glas gefüllt und leer gemacht,
Und gingen wir im Schnee zuhaus,
War grad die frühe Meße aus,
Dann konnten gleich die frömmsten Fraun
Sich negativ an uns erbaun.
Die Zeit verging, das Alter kam,
Wir wurden sittsam, wurden zahm.
Nun sehn wir zwar noch ziemlich gern
Die Sach uns an, doch nur von fern
(Ein Auge zu, Mundwinkel schief)
Durch's umgekehrte Perspektiv.
Abgeschickt 30ten Jan. 1905.
Rätsel
Johann Wolfgang von Goethe
Ein Bruder ist’s von vielen Brüdern,
In allem ihnen völlig gleich,
Ein nötig Glied von vielen Gliedern
In eines großen Vaters Reich;
Jedoch erblickt man ihn nur selten,
Fast wie ein eingeschobnes Kind:
Die andern lassen ihn nur gelten
Da, wo sie unvermögend sind.
Februar
Helene Krüger
Auf der Spur der strengen Schönen
Schreitet Februar einher,
Sanfter, milder von Gebärden,
Ohne Winterschutz und Wehr.
Ihre schönen, ernsten Augen,
Die voll Sehnsucht vorwärts schau'n,
Seh'n schon hinter Regenwolken
Ahnungsvoll den Himmel blau'n.
Horch, am Boden leises Regen!
Unter ihrem nackten Fuß
Sprießt Schneeglöckchen aus der Erde,
Frühlings erster Botengruß. –
Wenn im bunten Fastnachtstrubel,
Du der Gegenwart vergißt,
Wisse, daß Natur da draußen
Unentwegt am Werke ist.
Doch die hohe Frau im Schleier,
Die den Frühling herbestellt,
Räumt bescheiden ihrer Schwester
Vor der Zeit das Arbeitsfeld.