
Herbstgedichte zum Lesen und Wohlfühlen
Freuen Sie sich auch schon so sehr auf die kommende Herbststimmung? Jetzt ist Zeit dafür, es sich mit einem spannenden Buch auf der Couch gemütlich zu machen und den Alltag zu entschleunigen. Wer im Herbst eher zu Schwermut neigt, wem es schwerfällt den Farbwechsel der Blätter und die Ruhe zu genießen, für den- oder diejenigen haben wir tolle Gedichte, die dabei helfen können, die trübe Stimmung an grauen Tagen zu vertreiben.
Novembertag
Christian Morgenstern
Nebel hängt wie Rauch ums Haus, drängt die Welt nach innen; ohne Not geht niemand aus; alles fällt in Sinnen.
Leiser wird die Hand, der Mund, stiller die Gebärde. Heimlich, wie auf Meeresgrund träumen Mensch und Erde.
Erster November
Max Dauthendey
Da draußen ist frühe Nebelnacht, Die hat den Tag um Stunden bestohlen, Hat aus den Fenstern Laternen gemacht. Ich möchte mir den Mond herholen, Dass ich einen hätt’, der ewig lacht, Denn die Nacht ist wie ein schwarzes Bett.
Dort hat der Tod, wie auf Lagern aus Kohlen, Gedankenlos als Dieb seine Ruhestätt’. Weiß nicht, ist die Stadt draußen klein oder groß, Ob Menschen drin hausen, oder bin ich allein, Denn ein jeder Tag schwarz wie der Fluss fortfloss, Und beklagt gingen viele zur Nacht hinein.
Auch Vater und Mutter haben gefragt, Und niemandem wurde der Weg gesagt. Auch Vater und Mutter wurden zu Stein, Ein Stein, der sich über dem Grabe schloss. Drauf lese ich heut’ ihre Namen bloß, Nur noch die Namen sind beide mein. Woher sie kamen, wohin sie gingen, - Ich kann die Nacht nicht zum Reden zwingen.
Keiner soll es mir verwehren
Wilhelm Busch
Keiner soll es mir verwehren, Spukgeschichten, Geisterstunden Schauderfreudig anzuhören, Wie als Kind in Dämmerstunden.
Ja, daß Geister wiederkehren Und rumoren und erscheinen, Möcht' ich selbst beinah beschwören, Denn ich habe selber einen.
Bunt sind schon die Wälder
Johann Gaudenz von Salis-Seewis
Bunt sind schon die Wälder,
gelb die Stoppelfelder,
und der Herbst beginnt.
Rote Blätter fallen,
graue Nebel wallen,
kühler weht der Wind.
Wie die volle Traube
aus dem Rebenlaube
purpurfarbig strahlt!
Am Geländer reifen
Pfirsiche, mit Streifen
rot und weiß bemalt.
Sieh, wie hier die Dirne
emsig Pflaum und Birne
in ihr Körbchen legt,
dort mit leichten Schritten
jene goldnen Quitten
in den Landhof trägt.
Flinke Träger springen,
und die Mädchen singen,
alles jubelt froh!
Bunte Bänder schweben
zwischen hohen Reben
auf dem Hut von Stroh.
Geige tönt und Flöte
bei der Abendröte
und im Mondesglanz;
junge Winzerinnen
winken und beginnen
frohen Erntetanz.
Hab Dank, du lieber Wind!
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
Ich bin in den Garten gegangen
und mag nicht wieder hinaus.
Die goldigen Äpfel prangen
mit ihren roten Wangen
und laden ein zum Schmaus.
Wie ist es anzufangen?
Sie sind mir zu hoch und fern.
Ich sehe sie hangen und prangen
und kann sie nicht erlangen
und hätte doch einen gern!
Da kommt der Wind aus dem Westen
und schüttelt den Baum geschwind
und weht herab von den Ästen
den allerschönsten und besten.
Hab Dank, du lieber Wind!
Herbstbild
Friedrich Hebbel
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.
Septembermorgen
Eduard Mörike
Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.
Im Herbst
Friedrich von Sallet
Durch die Wälder streif' ich munter,
Wenn der Wind die Stämme rüttelt
Und im Rascheln bunt und bunter
Blatt auf Blatt herunterschüttelt.
Denn es träumt bei solchem Klange
Sich gar schön vom Frühlingshauche,
Von der Nachtigall Gesange,
Und vom jungen Grün am Strauche.
Lustig schreit' ich durchs Gefilde,
Wo verdorrte Disteln nicken,
Denk' an Maienröslein milde
Mit den morgenfrischen Blicken.
Nach dem Himmel schau' ich gerne,
Wenn ihn Wolken schwarz bedecken;
Denk' an tausend liebe Sterne,
Die dahinter sich verstecken.
Spätherbst
Theodor Fontane
Schon mischt sich Rot in der Blätter Grün,
Reseden und Astern sind im Verblühn,
Die Trauben geschnitten, der Hafer gemäht,
Der Herbst ist da, das Jahr wird spät.
Und doch (ob Herbst auch) die Sonne glüht, –
Weg drum mit der Schwermut aus deinem Gemüt!
Banne die Sorge, genieße, was frommt,
Eh' Stille, Schnee und Winter kommt.
Das Hexeneinmaleins
Johann Wolfgang von Goethe
Du musst verstehn!
Aus eins mach Zehn,
Und Zwei lass gehn,
Und Drei mach gleich,
So bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex,
Mach Sieben und Acht,
So ist´s vollbracht;
Und neun ist Eins,
Und Zehn ist keins,
Das ist das Hexen-Einmaleins!
Herbstlied
Luise Büchner
Es liegt der Herbst auf allen Wegen,
In hundert Farben prangt sein Kleid,
Wie seine Trauer, seinen Segen
Er um sich streut zu gleicher Zeit.
Es rauscht der Fuß im welken Laube,
Was blüht' und grünte, ward ein Traum –
Allein am Stocke winkt die Traube
Und goldne Frucht schmückt rings den Baum.
So nimmt und gibt mit vollen Händen
Der Herbst, ein Dieb und eine Fee;
Erfüllung kann allein er spenden,
Doch sie umfängt ein tiefes Weh! –
O, Herbst der Seele! deine Früchte,
Sind auch Gewinn sie, oder Raub?
Der Wünsche Blüthe ist zunichte,
Der Hoffnung Grün ein welkes Laub.
Zu schwer erkauft, um zu beglücken,
O, Seelenherbst, ist deine Zier!
Der Saft der Traube kann entzücken,
Doch keine Wonne strömt aus dir.
Die Weisheit, wie die Frucht sie nennen,
Sie preßt mir bittre Thränen aus,
Und ihres Kernes herbem Brennen
Entkeimet nie ein Frühlingsstrauß!
Herbsttag
Rainer Maria Rilke
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Im Herbst
Wilhelm Busch
Der schöne Sommer ging von hinnen,
Der Herbst, der reiche, zog ins Land.
Nun weben all die guten Spinnen
So manches feine Festgewand.
Sie weben zu des Tages Feier
Mit kunstgeübtem Hinterbein
Ganz allerliebste Elfenschleier
Als Schmuck für Wiese, Flur und Hain.
Ja, tausend Silberfäden geben
Dem Winde sie zum leichten Spiel,
Die ziehen sanft dahin und schweben
Ans unbewußt bestimmte Ziel.
Sie ziehen in das Wunderländchen,
Wo Liebe scheu im Anbeginn,
Und leis verknüpft ein zartes Bändchen
Den Schäfer mit der Schäferin.
Herbst
Ricarda Huch
September sitzt auf einer hohlen Weide,
Spritzt Seifenblasen in die laue Luft;
Die Sonne sinkt; aus brauner Heide
steigt Ambraduft
Als triebe Wind sie, ziehn die leichten Bälle
Im goldnen Schaum wie Segel von Opal,
Darüber schwebt in seidener Helle
Der Himmelssaal.
Auf fernen Tennen stampft der Erntereigen,
Im Takt der Drescher schwingt der starre Saum.
Handörgelein und Baß der Geigen
Summt süß im Raum.
Spaziergang am Herbstabend
Friedrich Hebbel
Wenn ich Abends einsam gehe
Und die Blätter fallen sehe,
Finsternisse nieder wallen,
Ferne, fromme Glocken hallen:
Ach, wie viele sanfte Bilder,
Immer inniger und milder,
Schatten längst vergangner Zeiten,
Seh' ich dann vorüber gleiten.
Was ich in den fernsten Stunden,
Oft nur halb bewußt, empfunden,
Dämmert auf in Seel' und Sinnen,
Mich noch einmal zu umspinnen.
Und im inneren Zerfließen
Mein' ich's wieder zu genießen,
Was mich vormals glücklich machte,
Oder mir Vergessen brachte.
Doch, dann frag' ich mich mit Beben:
Ist so ganz verarmt dein Leben?
Was du jetzt ersehnst mit Schmerzen,
Sprich, was war es einst dem Herzen?
Völlig dunkel ist's geworden,
Schärfer bläs't der Wind aus Norden,
Und dies Blatt, dies kalt benetzte,
Ist vielleicht vom Baum das letzte.
Der Knabe im Moor
Annette von Droste-Hülshoff
Oh schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt, als ob mann es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind -
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor',
Die den Haspel dreht im Geröhre!
Voran, voran! nur immer im Lauf,
Voran, als woll es ihn holen!
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstische Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Kanuf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!
Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
"Ho, ho, meine arme Seele!"
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär' nicht Schutzengel in seiner Näh',
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.
Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O schaurig war's in der Heide!
Trübes Wetter
Gottfried Keller
Es ist ein stiller Regentag,
So weich, so ernst – und doch so klar,
Wo durch den Dämmer brechen mag
Die Sonne weiß und sonderbar.
Ein wunderliches Zwielicht spielt
Beschaulich über Berg und Tal,
Und die Natur, lind abgekühlt,
Sie weint und lächelt allzumal!
Wie ein Kristall, von Flor umhängt,
Erglänzt geheimnisvoll die Luft,
Der Tag glimmt spärlich und bedrängt,
Wie Lampenschein in einer Gruft.
Die Hoffnung, das Verlorensein
Sind gleicher Stärke in mir wach;
Das Leben und die Todespein,
Sie ziehn auf meinem Herzen Schach.
Ich aber schaue innerlich
Still lächelnd zu in guter Ruh,
Und meine Seele rüstet sich
Ergebend ihrem Schicksal zu.
Der Schnupfen
Christian Morgenstern
Ein Schnupfen hockt auf der Terrasse,
auf daß er sich ein Opfer fasse
– und stürzt alsbald mit großem Grimm
auf einen Menschen namens Schrimm.
Paul Schrimm erwidert prompt: »Pitschü!«
und hat ihn drauf bis Montag früh.
Herbst
Cäsar Flaischlen
Das ist nicht Sommer mehr, das ist September ... Herbst:
diese großen weichen Wolken am Himmel,
diese feinen weißen Spinnwebschleier in der Ferne
und hinter den Gärten mit den Sonnenblumen
der ringelnde Rauch aufglimmender Krautfeuer ...
und diese süße weiche Müdigkeit und diese
frohe ruhige Stille überall und trotzdem wieder
diese frische, satte, erntefreudige, herbe Kraft ...
das ist nicht Sommer ... das ist Herbst.